Forschungsmethoden

Das skizzierte Verständnis vom Forschungsgegenstand macht methodisch im Wesentlichen die Beobachtung, Aufzeichnung und Analyse des situierten Unterrichtsvollzugs selbst erforderlich. Um die Qualität fachlichen Lernens insbesondere in individualisierten und dezentrierten Formen des Grundschulunterrichts zu untersuchen, sind videobasierte Forschungszugänge unumgänglich, die zum einen das Lehrpersonenverhalten und zum anderen die Reaktionen der Lernenden einfangen und Lehrpersonen sowie Schüler:innen in verschiedenen Situationen und Fachkontexten beobachten. Für einzelne Fragestellungen, etwa die nach der Bedeutung von Unterrichtsplanung für dessen Vollzug oder die nach den ‚Ergebnissen‘ des Unterrichts in Form von Schülerarbeiten, sind allerdings auch das Instrument des Interviews oder die Dokumentenanalyse sinnvoll.

Unterrichtsinteraktionen und die soziale Praxis fachlichen Lernens im Grundschulunterricht werden also auf der Grundlage von Videoaufzeichnungen, Protokollen und Dokumenten aus dem realen alltäglichen Unterricht analysiert. Das Forschungsprogramm des Graduiertenkollegs ermöglicht und erfordert eine breite Palette von Fallstudien, die sich in unterschiedlicher Weise auf die empirische Beobachtung des Zusammenhangs zwischen fachlichem Lernen und Interaktionspraxis in der Grundschule richten. Diese Fallstudien (Dissertationsprojekte) sind ihrer je spezifischen Fragestellung entsprechend in ihrer je spezifischen Untersuchungsanlage und forschungsmethodischen Ausrichtung zu entwickeln. Die Relationierung von qualitativen und quantitativen Projekten ergibt sich durch die gemeinsame Bezugnahme auf situierte Probleme des interaktiven Vollzugs von Deutsch- und Mathematikunterricht in der Grundschule.

Für bestimmte Fragestellungen kann auch auf das bereits bestehende umfangreiche Datenkorpus videobasierter Unterrichtsforschung in der Grundschule zurückgegriffen werden, das im Rahmen von an der Universität Kassel durchgeführten Forschungsprojekten generiert wurde. So liegt umfangreiches empirisches Material aus den Projekten PERLE („Persönlichkeits- und Lernentwicklung von Grundschulkindern“ in den Fächern Deutsch und Mathematik ) und KoText („Kooperative Schülerrückmeldungen bei der Textüberarbeitung im Deutschunterricht der Grundschule“) vor.

Voraussetzung einer konstruktiven und produktiven Zusammenarbeit über die verschiedenen methodologischen Paradigmen hinweg ist das Bewusstsein von den Grenzen des ‚eigenen‘ methodischen Zugriffs und die Anerkennung der Möglichkeiten des jeweils ‚anderen‘ Ansatzes. Im Rahmen des Studienprogramms soll bei allen Kollegiat:innen zumindest ein Grundverständnis sowohl von rekonstruktiver als auch von standardisierter Forschungslogik entwickelt werden, auch wenn die meisten sich mit ihrer eigenen Forschung überwiegend in einem Paradigma bewegen werden.

In der ersten Kohorte werden zunächst vor allem qualitative Fallstudien entwickelt, die grundlegende Praktiken der Aufgabenbearbeitung bzw. der Strukturierung von Unterricht analytisch erschließen und dabei nach deren Zusammenhang mit der Interaktionsorganisation des Unterrichts fragen. Diese Studien sind explorativ und theoriegenerierend angelegt. Die Untersuchungsanlage folgt dem Prinzip des ‚theoretical sampling‘ und fokussiert (in der Regel als Videobeobachtung) für die jeweilige Fragestellung besonders aufschlussreich erscheinende Fälle.

Einige Aspekte des Forschungsprogramms werden im Rahmen einer größeren standardisierten Videostudie bearbeitet. Diese Videostudie wird sowohl Deutsch- als auch Mathematikunterricht einbeziehen und den fachlichen Inhalt sowie eine Grobstruktur des Unterrichts vorgeben. Die curriculare Vereinheitlichung ermöglicht die vergleichende Analyse und Rekonstruktion fachlicher Lernprozesse, wobei auch mit diesem Datenkorpus die Interaktionsorganisation mittels Verlaufs- und Sequenzanalysen in den Blick genommen wird. Die Videostudie wird ab dem Beginn des Graduiertenkollegs sukzessive an den kooperierenden Schulen durchgeführt. Spätestens die zweite Kohorte kann auf den vollständigen Datensatz dieser Videostudie zurückgreifen, auch Projekte aus der ersten Kohorte können bereits qualitativ-explorativ mit Daten aus der Video-Studie arbeiten.

Videodaten sind als Beobachtungsdaten zunächst einmal grundsätzlich qualitativer Natur. Sie ermöglichen die Rekonstruktion von Vollzugslogiken, von Zusammenhängen zwischen Praktiken, von Anschlüssen und Abbrüchen in der Interaktion mit den Mitteln einer qualitativen Videoanalyse, die sich insbesondere auf Sequenzialität aber auch auf synchrone Phänomene richtet (Dinkelaker & Herrle 2009). Samplingstrategien folgen hier dem grundlegenden Prinzip des „Theoretical Sampling“ (Strauss 1998) und vergleichen etwa minimal und maximal kontrastierende Fälle. Das Datenkorpus der standardisierten Videostudie ermöglicht darüber hinaus die Transformation der Beobachtungsdaten in quantifizierbare Daten in Form von Rating- und Kodierverfahren. Vorgesehen sind ein hoch inferentes Rating zu Unterstützungsqualität, pädagogischer Beziehung, Autonomieunterstützung, kognitiver Aktivierung, fachlicher Strukturierung und Angemessenheit und niedrig inferente Kodierungen zur Art der Unterstützungsaktivitäten, Feedbackarten, Thematisierung fachspezifischer und überfachlicher Aspekte. Diese Daten ermöglichen dann entsprechende statistische Analysen. Qualitative und quantitative Analysen können sich im Rahmen der Videostudie in verschiedener Weise ergänzen.

Dinkelaker, J., & Herrle, M. (2009). Erziehungswissenschaftliche Videographie. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS.

Strauss, A. L. (1998). Grundlagen qualitativer Sozialforschung: Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen und soziologischen Forschung. München: Fink.